Die Universitätsmedizin Essen erweitert ihr breites medizinisches Spektrum und baut mit dem im November 2021 neu gegründeten Zentrum für Naturheilkunde & Integrative Medizin das Kompetenzfeld der wissenschaftsbasierten Naturheilkunde mit dem Schwerpunkt Prävention und Ernährung aus.
Als Leiter des innovativen Zentrums konnte Prof. Dr. Gustav Dobos gewonnen werden. Der Mediziner hat in Deutschland die Verknüpfung von Erkenntnissen aus der Naturheilkunde mit den Methoden der Schulmedizin etabliert. Vor 1999 bis 2021 war er Direktor der Klinik für Naturheilkunde und Integrative Medizin und wurde 2004 auf die Stiftungsprofessur der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung berufen und lehrt bis heute an der medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen. Nun bringt er als berenteter Chefarzt seine Erfahrung in den Aufbau des neuen Zentrums an der Universitätsmedizin Essen ein. Seine Professur wurde entsprechend verlängert.
Ebenfalls im Gründungsteam: Dr. Kristin Hünninghaus. Neben Ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit im Bereich „Ernährung und planetare Gesundheit“ arbeitet sie als Assistenzärztin in der Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Transplantationsmedizin. Aktuell bringt sie mit großer Begeisterung die ersten Projekte für das Zentrum für Naturheilkunde & Integrative Medizin mit ins Rollen.
Vielfältige Kompetenzen
Gemeinsam schaffen Prof. Dr. Gustav Dobos und Dr. Kristin Hünninghaus Strukturen, zunächst die Essenversorgung von Mitarbeitenden und Patientinnen und Patienten der Universitätsmedizin Essen zu optimieren, bald aber auch ambulante Beratungsangebote einzurichten. Wissenschaftliche Studien und die Entwicklung interdisziplinärer Behandlungskonzepte stehen außerdem im Fokus des Zentrums. Im Laufe des Jahres 2022 werden weitere Expertinnen und Experten das Team ergänzen: Neben Andrea Sippel, die das Sekretariat führt, werden Verträge mit einer Ernährungswissenschaftlerin, zwei studentischen Hilfskräften, einer wissenschaftlichen Mitarbeitenden und einer Ernährungs- und Social-Media-Expertin geschlossen.
Kommunikative Begleitung
Gesund und klimafreundliche Ernährung ist erklärungsbedürftig. „Die kommunikative Begleitung unserer Projekte ist von großer Bedeutung“, sagt Prof. Dr. Gustav Dobos. Viele Menschen wollen sich gesund ernähren, haben dabei den CO2-Fußabdruck aber nicht im Blick. Andere möchten das Klima schützen, vernachlässigen jedoch eine ausgewogene Ernährung. Da gibt es Pudding-Vegetarier und die Fleisch-macht-Muckis-Fraktion … Das Ziel: Ernährung nicht nur mit Blick auf die eigene Ernährungsoptimierung zu betrachten, sondern auch die planetaren Auswirkungen des Essverhaltens deutlich zu machen.
Über eine Social-Media-Plattform wird das Team – zunächst für Mitarbeitende der Universitätsmedizin Essen, später auch für Patientinnen und Patienten – einen Diskussionsprozess in Gang bringen, eine digitale Rezeptsammlung veröffentlichen und Koch-Shows aus der Lehrküche des Zentrums für Naturheilkunde & Integrative Medizin übertragen. Kristin Hünninghaus: „Zusätzlich möchten wir gemeinsam mit Kollegen der UME eine Vorlesungsreihe für Studierende anbieten und langfristig das Fach ‚Ernährung‘ fest im universitären Curriculum etablieren.“ Denn selbst im Medizinstudium werde das Thema „Ernährung und planetare Gesundheit“ bisher sträflich vernachlässigt.
Aktuelle Projekte
Mit dem Zentrum für Naturheilkunde & Integrative Medizin im Kontext der Universitätsmedizin Essen soll ein Leuchtturmprojekt entstehen: Das erste Universitätsklinikum, das die pflanzenbasierte, umweltfreundliche Ernährung auf die Agenda nimmt und systematisch umsetzt.
Aktuell führen Dr. Kristin Hünninghaus und Prof. Dr. Gustav Dobos zahlreiche Stakeholdergespräche, sie analysieren die Ist-Situation: Wie setzen sich die Mahlzeiten ernährungsphysiologisch in Kantine und Krankenversorgung zusammen? Welchen Umweltfußabdruck hinterlassen die Speisen? Wie motiviert sind Entscheiderinnen und Entscheider in Küche und Einkauf, etwas zu verändern? Sie entwickeln Umfragen und Schulungen für Servicekräfte der Essensausgabe und Menüdisponentinnen und -disponenten. Gemeinsam mit den Food-Expertinnen und -Experten an der Universitätsmedizin Essen möchten sie Rezepturen verändern. Tierische Produkte sollen mehr und mehr pflanzlichen weichen, und die Gerichte sollen einfach besser schmecken. Prof. Dr. Gustav Dobos: „Gegen gesundes Essen, das gut schmeckt, hat niemand etwas einzuwenden.“
Die Universitätsmedizin Essen bietet – noch – dreimal am Tag an sieben Tagen in der Woche Fleisch an. „Das widerspricht jeglichen Empfehlungen mit wissenschaftlicher Evidenz“, sagt Dr. Kristin Hünninghaus. Dabei stoßen die Ernährungsspezialistin und der Naturheilkundeexperte auf große Offenheit. Es besteht bereits jetzt eine enge Zusammenarbeit mit Claudius Frickenhaus, der seit Sommer 2021 der Küchenleiter am Uniklinikum Essen ist.
Gesellschaftliche Verantwortung
Die Universitätsmedizin Essen versorgt täglich in ihrer Kantine circa 500 Mitarbeitende und über die Krankenhausküche 1.200 Patientinnen und Patienten. Das ist eine enorme logistische Herausforderung der großer Respekt gebührt, sagt Dobos. Täglich wird allerdings ein großer Teil Essen vernichtet – Patientinnen geben ihre Tablets unberührt zurück, Fehlbestellungen finden keine Abnehmer. Dr. Kristin Hünninghaus: „Wir planen, einen Partner ins Boot zu holen, der eine konkrete Prozessanalyse durchführt und bei ähnlichen Projekten die Lebensmittelverschwendung um rund 30 Prozent reduzieren konnte.“
Diese Einsparungen könnten die Verantwortlichen dann in bessere Produkte investierten, meint Prof. Dr. Gustav Dobos. Denn das Ernährungssystem eines jeden Krankenhauses in Deutschland sei ein Stiefkind der Abrechnung. Denn die Essenzubereitung muss im Krankenhaus-Abrechnungssystem mit zwölf weiteren Bereichen (unter anderem IT und Reinigung) um einen festen Betrag konkurrieren. Steigen zum Beispiel die Personalkosten in einem dieser Bereiche führt dies häufig zu weiteren Einsparungen bei den Lebensmitteln. Dies führte dazu, dass die Pauschale aktuell deutschlandweit im Durchschnitt bei nur 3,84 Euro für drei Mahlzeiten am Tag liegt. Hierunter leidet als Folge die Qualität der Produkte. Hier bestehe laut dem Team „großer politischer Handlungsbedarf“. Prof. Dr. Dobos appelliert: „Zu uns in die Uniklinik kommen viele Patientinnen und Patienten zum Beispiel mit Diabetes oder Coronarerkrankungen, die dürfen wir nicht auch noch im Krankenhaus schlecht ernähren.“